"Wir brauchen eine Kultur des Möglichmachens"

Großraum- und Schwertransporte (GST) sind für eine erfolgreiche Wirtschaft unverzichtbar. Doch die Genehmigungen dafür dauern oft lange und sind komplex. Im Rahmen des "Pakts für Planungsbeschleunigung" diskutierten Vertreter der Verwaltungen und der Wirtschaft, wie die Verfahren beschleunigt werden können.
Andreas Kahl, CEO der Kahl Unternehmensgruppe, und Tobias Habbe, stellvertretender Abteilungsleiter bei GE Grid, erklären im Interview, wo der Schuh drückt.
Herr Kahl, wer spätabends oder nachts auf der Autobahn einen Konvoi mit einem Großraum- und Schwertransport (GST) vor sich hat, ist am Anfang von der Größe und all den blinkenden Lichtern noch fasziniert, dann aber schnell genervt, weil er wertvolle Zeit verliert. Warum brauchen wir solche Transporte überhaupt auf der Straße?
Kahl:
Unsere GST betreffen alle Wirtschaftsbereiche: von der Produktionsstraße für Joghurtbecher bis hin zu Rotoren für Windräder. Ich verstehe, dass solch ein Transport auf der Autobahn nervig sein kann. Aber es ist nicht möglich, all diese großen Anlagen direkt vor Ort herzustellen. Deshalb benötigen unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft diese Transporte. Es geht um eine Sondernutzung – für den Gemeinnutzen.
Machen wir das mal konkret: Herr Habbe, die GE Grid baut in Mönchengladbach Transformatoren. Warum brauchen wir die? Und warum brauchen Sie GST?
Habbe:
In der Vergangenheit wurde Energie vor allem dort erzeugt, wo sie benötigt wurde, also im Westen und Süden Deutschlands, wo die Industrie angesiedelt ist. Der Umstieg auf erneuerbare Energien führt jedoch zu einer dezentralen Energieerzeugung. Photovoltaik- und Windkraftanlagen sind über das ganze Land verteilt. Deshalb bauen wir die Stromtrassen aus, um beispielsweise den Windstrom von der Nordsee in den Süden transportieren zu können. Um die gewaltigen Energiemengen kostengünstig transportieren zu können, müssen diese auf die Höchstspannungsebene von 420 Kilovolt (kV) transformiert werden. Dies ist die Aufgabe eines Hochleistungstransformators. In Mönchengladbach bauen wir Transformatoren mit einer Leistung bis zu 1100 Megavolt-Ampere (MVA). Aufgrund der Ökodesign-Verordnung, des erhöhten Leistungsbedarfs und der Anforderungen an die Geräuschemissionen erreichen Hochleistungstransformatoren heutzutage ein Transportgewicht von bis zu 420 Tonnen. Gleichzeitig werden Achslasten immer weiter reduziert und Genehmigungsverfahren immer komplexer. Dies stellt uns vor enorme Herausforderungen. Um die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleisten zu können, werden zukünftig deutlich mehr Transformatoren benötigt. Ohne sie kann die Energiewende nicht gelingen.
Wie hoch ist der Bedarf?
Habbe:
Sehr hoch. Es wird geschätzt, dass wir den aktuellen Transformatorenbestand bis 2030 um 70 Prozent erweitern müssen. Deshalb investieren wir bis 2028 einen hohen, mehrstelligen Millionen-Euro-Betrag in die Erweiterung unserer Produktionskapazitäten in Mönchengladbach. Umso mehr sind wir darauf angewiesen, dass unsere Transformatoren dorthin transportiert werden können, wo sie benötigt werden. Gelingt das nicht, wird nicht nur unsere Investition konterkariert, sondern es entsteht auch ein deutliches Hemmnis für die Energiewende. Deshalb benötigen wir schnelle und einfache Genehmigungsverfahren mit hoher Flexibilität und möglichst wenig Bürokratie.
Die Genehmigungen beantragen Sie, Herr Kahl. Sind Sie zufrieden damit, wie es läuft?
Kahl:
Nein, überhaupt nicht. Die Infrastrukturprobleme, die wir in Deutschland haben, sind ja mittlerweile gut bekannt. Die Probleme mit schlechten Straßen und maroden Brücken werden uns noch Jahrzehnte begleiten. Für manche Standorte hat das existenzbedrohende Ausmaße. Umso wichtiger ist, dass wir in den Genehmigungsverfahren schneller und flexibler werden. Derzeit vergrößern die schwerfälligen Genehmigungen unsere Probleme mit der Infrastruktur nur noch mehr.
Wo liegen die Probleme bei den Genehmigungsverfahren?
Kahl:
Oft kommen in solch einem Verfahren Bundes-, Landes- und kommunale Ebene zusammen. Wir haben einen Flickenteppich an Vorschriften und Zuständigkeiten. Das ist nicht aufeinander abgestimmt. Daraus folgt, dass wir die Zeit, die Anträge benötigen, nicht kalkulieren können – und damit auch nicht die Kosten. Sie dürfen die ganze logistische Kette, die mit einem GST verknüpft ist, nicht unterschätzen. Wenn ich keine Terminsicherheit habe, kann ich nicht die gesamte Technik, die ich für den Transport benötige, ständig vorhalten. Es geht nicht mal eben um eine Terminverschiebung und nicht nur um die Vorhaltung der teuren Gerätschaften, sondern auch um den Zusammenbruch und die Störung gesamter Lieferketten und Projektverzögerungen, bis hin zu Projektstillständen. Wenn wir an diesem Verfahren nichts ändern, werden die Güter aus Deutschland abwandern.
Ist es anders überhaupt möglich?
Kahl:
In den Niederlanden bekommen wir so eine Genehmigung binnen einer Woche, in Deutschland nicht.
Was fehlt?
Kahl:
Ich glaube, zuallererst ist das eine Frage der Einstellung. In Deutschland herrscht gegenüber Innovationen und Industrie oft eine Ablehnungskultur. Davon müssen wir weg – hin zu einer Kultur des Möglichmachens, die von Fortschrittsdenken und Verantwortung getrieben ist - insbesondere in den Ämtern, Verwaltungen und in der Politik. Deshalb brauchen wir eine Bewusstseinsveränderung in Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Nur ein Beispiel: Fahrzeitgewinne von zwei Stunden in der Nacht sind für uns erheblich. Das kann darüber entscheiden, ob wir eine Nacht länger fahren müssen oder nicht – was natürlich enorme Auswirkungen auf die Kosten, Termine und Fristen hat. Wenn wir in einer Kultur des Möglichmachens alles Mögliche und Erlaubte ausnutzen, um schneller und besser zu werden, wäre das ein entscheidender Fortschritt. In Deutschland sind Transporte bis 44 Tonnen bundesweit im kombinierten Verkehr genehmigt, was faktisch einer flächendeckenden Dauergenehmigung gleichkommt. Aber ein GST mit 44 Tonnen erfordert eine Genehmigung. Das ist für mich kein Ausdruck einer Kultur des Möglichmachens, sondern von Misstrauen.
Mentalität ist das eine – in der Regel braucht es zu Veränderungen meist noch mehr. Was fehlt sonst noch?
Kahl:
In das Genehmigungsverfahren sind oft viele unterschiedliche Behörden eingebunden, die nicht miteinander harmonisiert sind. Nur mal ein Beispiel: Es gibt eigentlich eine Gebührenordnung für GST, die für einheitliche Gebühren sorgen sollte, aber tatsächlich haben wir für gleiche Sachverhalte unterschiedliche Gebühren mit 200 bis 300 Prozent Unterschied. Ich weiß, dass solche Genehmigungsverfahren sehr komplex sind, weil oft viele unterschiedliche Behörden beteiligt sind. Doch unser derzeitiges Genehmigungsverfahren ist analog und antiquiert. Das führt zu vielen Medienbrüchen und damit zu Verzögerungen und ist von einer Digitalisierung weit entfernt. Wir benötigen ein medienbruchfreies digitales Verfahren vom Produzenten bis zur Durchführung des Transportes im Fahrerhaus beim Fahrer und der Umsetzung der Fahrauflagen. Das würde den Ablauf und die Zusammenarbeit deutlich reibungsloser gestalten. Außerdem müssen wir mehr Flexibilität ermöglichen. Zum Beispiel darf der Austausch der Sattelzugmaschinen nicht zum Problem werden, nur weil eine andere Zugmaschine in der Länge oder den Achsabständen abweicht.
Es gibt schon ein bundesweit einheitliches, digitales System für die Genehmigung von GST: VEMAGS® - "Verfahrensmanagement für Großraum- und Schwertransporte". Warum wird das nicht durchgängig genutzt?
Kahl:
Ich kann hier nicht für die Behörden sprechen. Meine Erfahrung ist nur, dass spätestens die Kommunen von VEMAGS wieder ins Analoge wechseln. VEMAGS ist so wenig digital, wie die Verwendung eines Faxgerätes mit Digitalisierung zu tun hat. VEMAGS ist nur eine Antragsplattform und gehört längst auf den Prüfstand. Es verschlingt jedes Jahr zig Millionen Euro und ist programmatisch noch nicht einmal in der Lage geltendes Recht abzubilden. Ich will da niemandem einen Vorwurf machen. Wenn die Systeme Ihre Arbeit nicht schneller und einfacher machen, werden Sie die Systeme nicht nutzen. Dann kommt dazu, dass es leider auch Mitarbeiter in kleineren Kommunen gibt, die in der Anwendung von VEMAGS noch nicht einmal richtig geschult sind und auch über GST nicht Bescheid wissen, aber sich mit diesem komplexen Thema auseinander setzen müssen. Um nichts falsch zu machen, werden dann Ablehnungen erteilt oder "Angstauflagen" gemacht. Wenn Mitarbeiter in kleineren Behörden das nicht so häufig machen, kann ihnen niemand einen Vorwurf machen, wenn sie nicht mit allen Details vertraut sind und vielleicht übervorsichtig handeln. Immerhin geht es ja auch um Haftungen für Schadensfälle, die schnell hohe Summen erreichen können. Deshalb unterstütze ich es, dass alle mit der nötigen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit arbeiten. Dennoch sollte es von einer grundsätzlichen Kultur des Ermöglichens getragen sein – auch wenn das Mut fordert, Verantwortung zu übernehmen und die Dinge voranzutreiben.

Stimmen aus der Diskussion

Nach den Statements von Andreas Kahl und Tobias Habbe kam es zu einer sehr angeregten Diskussion mit den Vertretern aus den Behörden. Lesen Sie hier einige Zitate:
Alexander Oberhuber, Straßen NRW:
"Die GST-Anträge werden über das VEMAGS (Verfahrensmanagement für Großraum- und Schwertransporte) -Portal gestellt, anschließend erfolgt die entsprechende Prüfung inklusive Erstellung der entsprechenden Stellungnahmen, die an VEMAGS zurückgespielt werden. Damit wird die Anhörungsprozedur vollständig digital abgebildet."
"Der Landesbetrieb Straßenbau NRW setzt im Rahmen der Anhörung zur Genehmigung von Großraum- und Schwertransporten ein teilautomatisiertes Prüf-Tool ein. Das Tool unterstützt die Mitarbeitenden bei der statischen Überprüfung der Bauwerke und der Prüfung der Lichtraumprofile. Dadurch kann die Anzahl der täglich bearbeiteten Anträge erhöht werden und gleichzeitig die Fehlerquote reduziert werden."
"VEMAGS ist ein bundesweites System für die Online-Abwicklung von Anträgen und Genehmigungen für Großraum- und Schwertransporte in allen 16 deutschen Bundesländern. Aus diesem Grund kann die Umsetzung von Änderungen spezifischer Programmfunktionen unter Umständen längere Zeiträume in Anspruch nehmen."
Manfred Bach, Abteilungsleiter Verkehr bei Autobahn GmbH
"Bei uns ist die Digitalisierung komplett eingerichtet, es wird kein Blatt mehr bewegt. Die Anträge für GST gehen bei einem zentralen Zugangspunkt ein und werden genau der Niederlassung zugewiesen, die dafür zuständig ist."
"Die Tücken liegen oft im Detail. Wenn zum Beispiel eine Firma die Route nicht mit dem Kartenmaterial der Autobahn GmbH geplant hat, kann es schon Abweichungen geben, die in der Genehmigung zum Problem werden."
"Wir müssen zusehen, dass die verkehrliche Belastung bedarfsgerecht erfolgt. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass ein Auflieger mit kürzerem Radstand zu einer stärken Belastung einer Brücke führt. Dann muss das Genehmigungsverfahren neu angestoßen werden."
Helmut Görtz, Straßenverkehrsamt Heinsberg
"Das Anhörungsverfahren läuft von der Autobahn GmbH über den Landesbetrieb Straßen zu den Unteranhörungen in den Kommunen oder Kreisbehörden. Es wäre sinnvoll, wenn solche Unteranhörungen in den Verwaltungen sofort bearbeitet würden. Oft werden sie wochenlang weitergeleitet. Wenn dann vom Antragsteller Nachfragen kommen, erreicht man in den Behörden den Zuständigen nicht."
"Auch in den Verwaltungen wird viel an Personal gespart. GST läuft als ein Thema von vielen. Schulungen wären wichtig, um das Wissen zu GST auf mehreren Personen zu verteilen. Außerdem kann der Ermessensspielraum nur genutzt werden, wenn das Personal mit dem Thema vertraut ist und sich darin sicher fühlt."
Christian Scotti, Verkehrsanlagenplanung, Stadt Mönchengladbach
"Die Zusammenarbeit müsste anders organisiert werden. Ich erlebe es oft als ein Ping-Pong zwischen oben und unten. Wir sollten die Zusammenarbeit eher im Sinne einer Task Force denken. Wenn Probleme auftauchen, kann eine Gruppe viel besser und schneller reagieren, als wenn die Anfrage viele Stellen durchläuft."
Norbert Schmitz, Rhein-Erft-Kreis
"Alle Kommunen haben einen VEMAGS-Zugang, er wird aber von vielen noch nicht genutzt. Wir haben deshalb eine Besprechung mit den Kolleginnen und Kollegen der Kommunen unseres Kreis geplant, um zu besprechen, was fehlt, damit jeder VEMAGS nutzt."
Birgit Demandt, Genehmigungsbehörde Mönchengladbach
"Die Auflagen einiger Genehmigungsbehörden sind sehr hoch. Letztens habe ich für die Genehmigung eines normalen Transports ein 63 Seiten starkes Dokument bekommen. Fünf Seiten hätten gereicht. So etwas hält ungeheuer auf."
Christoph Schnier, Referent für Verkehr, Infrastruktur und Mobilität, IHK Mittlerer Niederrhein
“Eine leistungs- und konkurrenzfähige Wirtschaft ist ohne Groß- und Schwertransporte nicht denkbar. Zahlreiche Branchen – vom Maschinen- und Anlagenbau bis zur Energiewirtschaft – sind auf reibungslose Transportwege für große und schwere Güter angewiesen. Und die Anzahl der erforderlichen Transporte wird weiter zunehmen. Deshalb brauchen wir schnelle, digitale Genehmigungsprozesse ohne Bürokratiehürden, koordinierte Behördenzuständigkeiten und letztlich auch eine Infrastruktur, die diesen Anforderungen gerecht wird – von der ersten bis zur letzten Meile.”